Ist die G20 schon am Ende?

Parallel zur Wirtschaftsund Finanzkrise war nach 2008 bei vielen Beobachtern der Eindruck entstanden und medial dann kräftig vermittelt worden, als habe die G20 (= Gruppe der 20 wichtigsten Industrieund Schwellenländer – vgl. www.g20.org) nicht nur die G7 bzw. G8 (USA, Jap., D, F, GB, I, Can + Russ. seit 1998) als ordnungspolitisches Kraftzentrum abgelöst, sondern auch effektiv die Neuordnung der internationalen Wirtschaftsbeziehungen übernommen. Die 19 Staaten (plus die Europäische Union) hatten sich nämlich zu koordinierten Maßnahmen zur Kontrolle der Finanzmärkte ebenso verstehen können wie zu einer Politik der stimulierenden Konjunkturprogramme. Diese führte zwar jeder Staat in eigener Regie durch (mit einem bei vielen Staaten auffallenden Finanztransfer zu den Besitzern der Automobilindustrie), aber immerhin wiesen sie in die gleiche Richtung, die Wirtschaft durch Anreize zu stimulieren, die erst später von den Verbrauchern über Steuern zurückbezahlt werden müssen. Die Regierungen verschuldeten die Gesellschaften, um Geld in den Wirtschaftskreislauf zu pumpen. Keynes schien als ideologischer Leitstern der G20 auferstanden zu sein.1 Diese ideologische Gemeinsamkeit gepaart mit der Wunschvorstellung, dass die Absichtserklärungen der Regierungen zur Regulierung der Finanzmärkte ihren politischen Absichten entsprächen, ließ die G20 als „Retter in der Not“ erscheinen. Nach dem Gipfel der G20 in Seoul im November 2010 drängt sich nunmehr ein anderes Bild auf. Denn inzwischen sind die wirtschaftlichen Entwicklungen in den verschiedenen Staaten weiter auseinandergetrieben. Hohe Arbeitslosigkeit und pompöse Konjunkturprogramme in den USA, die strikte Austeritätspolitik in Großbritannien, ein ansehnliches Wirtschaftswachstum und sinkende Arbeitslosigkeit in Deutschland, gewaltsame Poteste gegen eine Änderung der Sozialgesetzgebung in Frankreich, ein starker Expotsektor und großes Wirtschaftswachstum in China und der konsolidierte Energieexport für Russland begründen die sehr unterschiedlichen ökonomischen Interessen der jeweiligen Staaten, die sich auf kein gemeinsames Vorgehen mehr einigen können. Geopolitische Konflikte treten hinzu: die amerikanischindischen Beziehungen als Gegengewicht zu China, das immer deutlicher territoriale Ansprüche in Asien formuliert und seine Einflusssphären reklamiert; die transatlantisch-russischen Beziehungen, die weiterhin von sicherheitspolitisch begründetem Misstrauen geprägt sind; die unterschiedlichen Blickwiesen auf die internationalen Beziehungen, die sich zwischen den USA und den EUMitgliedstaaten ausgebildet haben und zuletzt die divergierenden Interessen hinsichtlich der Neuordnung der arabischen Welt. Die G20 sind inzwischen so heterogen, dass dem amerikanischen Präsidenten aus den Medien empfohlen wird, den nächsten Gipfel im Paris auszulassen, weil die USA isoliert sind. Mit den 3B (Beijing, Berlin, Brasilia) ist eine neue Gruppe entstanden, die sich gegen Exportquoten wehrt, um das Ungleichgewicht zwischen Exportund Konsumnationen auszugleichen. Viele Staaten werfen sich gegenseitig vor, ihre Währungen nach unten zu manipulieren, so dass aus der Weltbank der Vorschlag kam, den Goldstandard wieder einzuführen. Der Ausgleich von Ungleichgewichten, der im Februar 2011 in Paris besprochen wurde, wurde schließlich in einem Formelkompromiss ohne Quotenfestlegung bei Verschuldung, Handelsbilanz und Währungsreserven festgehalten. Die G20 haben damit ihren Anspruch aufgegeben, effektive Steuerungsleistungen auf diesen Gebieten erbringen zu können. Damit sind nur einige Themen angesprochen, die innerhalb der G20 kontrovers diskutiert werden. Viele andere Fragen werden der absehbaren Uneinigkeit wegen schon gar nicht angesprochen. Das betrifft den Welthandel und die inzwischen sichtbareren Zeichen eines anstehenden Protektionismus – auch wenn sich die Staaten zugesagt haben, genau diese Entwicklung zu verhindern. Es betrifft die Entwicklungshilfe, den Klimaschutz und die Regulierung der Finanzmärkte.